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Zeitungsartikel Kreuzberg wurde ihm zur Heimat (1972) Kreuzberg wurde ihm zur Heimat Berliner Morgenpost, 16.11.1972 Kreuzberg ist seine Heimat, da fühlt er sich seit 1959 zu Hause. Hier, in der Naunynstraße und Umgebung, ist er bekannt, wie der Schornsteinfeger, mit dem er manchmal ein Bier trinkt, oder wie die Beamten des benachbarten Polizeireviers. Für Artur Märchen gehört Kreuzberg ebenso zu seinem Leben wie seine Kunst, die ihn immer wieder an seine Staffelei zwingt. In der Kleinen Weltlaterne von Künstlermutter Herta Fiedler stellt der 40jährige Maler zur Zeit seine neuesten Werke aus. Er wirkt auf den ersten Blick scheu und leicht verwundbar. Scheu ist er eigentlich nicht, auch nicht Fremden gegenüber, er braucht Menschen um sich, er muß mit ihnen reden. Und schnell werden Freundschaften geschlossen. Die Leute hier in Kreuzberg sind einfache Leute, geradeheraus und ehrlich. Mir haben sie oft Vater und Mutter, Bruder und Schwester ersetzt, erklärt Märchen seine Beziehung und Seelenverwandschaft mit der Zigarettenfrau, den Hauswartsleuten, dem Bäcker und dem Milchmann. Er wird akzeptiert von seiner Umgebung, dieser auffallende Mann mit dem Russenkäppchen und der Husarenjacke, mit Gehstock und Schnauzbart; er wird nicht als spinnöser Künstler abgetan, sondern als Kumpel betrachtet. Die Bilder, die jetzt in der Kleinen Weltlaterne hängen, sind Leihgaben; die Ausstellung ist dem vierzigsten Geburtstag des Künstlers gewidmet. Meine Bilder gehen weg wie Semmel. Aber ich weiß wo sie sind, und wer sie hat. Schließlich lebe ich von ihnen, sie sind meine einzige Erwerbsquelle. Andererseits komme ich mir vor wie eine Mutter, die immer Kinder kriegt und sie dann gleich in ein Heim gebn muß. Manchmal hasse ich mich deshalb. Bei mir, in meiner Wohnung, hängt nicht eines. Ich hab´ nur einige Fotografien. Ich könnte mir meine Bilder sowieso nicht leisten. Finanziell tanze ich immer auf dem Seil, und wenn ich meine Hosentasche umkrempele, fällt oft nur Staub heraus. Artur Märchen bezeichnet sich als Wasspolakken aus Schlesien, der als Kins nach Berlin kam, nach dem Krieg in Hamburg lebte und dann 1959 nach Berlin, nach Kreuzberg, zurückkehrte. In diese Zeit fällt auch seine Namensgebung. Ja, den Namen Märchen, den habe ich in einer Kneipe bekommen. Damals zog ich mit Musikinstrumenten von einer Kneipe in die nächste, und im Leierkasten hatte ich viel Erfolg. Manchmal sangen wir noch auf der Straße, wenn die Kneipe längst geschlossen war und holten uns im Schnee nasse Füße. Jedenfalls, ich hatte im Leierkasten mal anschreiben müssen, fünf Mark oder so, und als ich am nächsten Tag kam, um zu bezahlen, da stand auf dem Zettel, den ich unterschrieben hatte, der Name Märchen. Die Wirtin sagte mir, daß sie meinen richtigen Namen gar nicht kennen würde, und da ich immer Stehgreifgeschichten vortrug, hatte sie Märchen auf meinen Schuldzettel geschrieben. So war das. Ja, das war eigentlich ein Spitzname. Er unterbricht, lacht in der Erinnerung und ergänzt: Und heute signiere ich mit diesem Namen meine Bilder. Und manchmal kommen sogar hochoffizielle Briefe an ´Herrn Artur Märchen` zu mir. Wie ich richtig heiß, hab` ich fast schon vergessen. von Bernd Lubowski
Links:
Zeitungsartikel: 'Märchen' - Ein Original wird 60 (1992)
Zeitungsartikel: Skandal in Bonn (1973)
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