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Zeitungsartikel Alles in allem war ich ein hübsches Kind (1969) Alles in allem war ich ein hübsches Kind BZ, 1969 BZ-Atelierbesuch Ein Künstler - skurril wie seine Bilder: Artur Märchen Er kann gleichzeitig auf zwei Flöten spielen. Er hat eine Sparbüchse zur Rettung Schiffbrüchiger im Wohnzimmer, für die er jeden Gast um einen Groschen bittet. Und - er hat eine absolut sichere Raucher-Entwöhnungskur: Immer, wenn der Drang zu stark wird, dann rauchste Pfefferminz. Am Anfang hab' ich 20 Stück von den Pfefferminz-Zigaretten am Tag geraucht. Zum Schluß wird die Dosis immer kleiner, und nach einem Vierteljahr biste übern Berg! Durch diesen kleinen Selbst-Bescheiß-Trick sagt er, erreicht man dasselbe wie bei einer teuren Entziehungskur-. Die Leber wird entgiftet. Der Flötenbläser, Schiffbrüchigen-Sparer und Pfefferminz-Raucher nennt sich Arthur Märchen. Er hat natürlich auch einen bürgerlichen Namen: Aber schreib den bloß nicht, sonst kommt mir die Verwandtschaft, das ganze Gesocks, auf den Hals. Arthur Märchen nennt sich nicht nur Märchen, er erzählt auch welche, zum Beispiel: Die Arbeit des Polsterers beginnt mit den Worten! Ich achte die Arbeit des Polsterers, wenn ich auf ihr herumhopple und wieder herunterkomme. Zu bestimmen, was der 37jährige, aus Schlesien stammende Märchen beruflich alles durchgestanden hat, ist nicht so leicht. Nach eigenen Angaben war er unter anderem: öliger Hafenarbeiter, freundlicher Polizist, höflicher Gastwirt, verkehrskundiger Schrippenfahrer, stämmiger Bootsmann, lustiger Musikant, fröhlicher Zecher, frommer Bibelverkäufer, hochbegabter Orgelbauer, Dichter und Denker und natürlich immer - Maler. Eine große Ausstellung seiner skurrilen Bilder ist zur Zeit in Hertha Fiedlers Kreuzberger Weltlaterne zu sehen. Ausstellungen in Hamburg, in Bremen und Los Angeles sollen folgen. Des Künstlers Hochburg liegt im vierten Stock eines Abrißhauses in der Kreuzberger Naunynstraße, wo die Miete Gerüchten zufolge mit dem Revolver eingetrieben wird. Toilette eine Treppe tiefer. Hier wohnt er mit Künstler-Frau Natascha und Kater Koschka, den er einst samt Flöhen von einem Zoohändler geschenkt bekommen hatte. Mein Portemonnaie - sagt er- ist so lange leer, wie ich denken kann. Bei meiner Arbeit improvisiere ich, ich habe die Mäuse nicht für Werkzeug und Maschinen. Kunst - sagt er - ist nicht zu erlernen. Künstler sind wie Huren: Künstler wollen nicht Künstler werden, sie werden in ihren Beruf geschubst, Huren ebenfalls. Am wohlsten fühle ich mich - sagt er - in Gaststätten, wo die Wirtsleute ganz freundlich und liebenswürdig sind. Die Gaststätte ist für mich eine bezahlte Nationalltät, ist meine Heimat - manchmal. Mit 65 Jahren möchte er erreicht haben: einen Zwei-Liter-Krug, für geistige Bedürfnisse eine noch größere Staffelei, und rauchen würde ich dann, und dann wünsche ich, daß mein liebes Frauchen noch lebt. Natascha, sein liebes Frauchen: Also, wir wollten doch eigentlich zusammen sterben. Er: Das ist aber nicht möglich. Na, dann werden wir drum knobeln. Mit seiner Kunst möchte er finanziell so weit kommen, daß ich mir nicht mehr Sorgen wegen der Miete machen muß. Aber nie will er für Leute malen, die sich ihre Bilder unbedingt ihrer Couch und ihren Tapeten anpassen wollen. Sich selbst empfindet er als gutmütig, feinfühlend, rachsüchtig, aber auch immer bereit zu verzeihen, trunken ab und zu, musikalisch, nachdenklich, ewig müde und manchmal hellwach. Was er als Kind (Alles in allem war Ich ein hübsches Kind) werden wollte? Groß wollte ich werden, um meiner Mutter all die Backpfeifen wiederzugeben, die sie mir mal verabreicht hat. Ich habe es verstanden - sagt er -, ohne Geld zu verdienen viele Jahre nicht satt zu werden. Aber ich habe auch viele Jahre gelebt, ohne zum Verbrecher zu werden. Es gab Zeiten - sagt er -, da habe ich nur von Bier gelebt. Ich benutze die Formel Prost als eine Form der Entschuldigung, das ist kein Sinnspruch, sondern ein Kurz-Märchen, das sich an diesem Abend wohl ein dutzendmal bewahrheitet. von Arnim Borski
Links:
In Kreuzberg und Berlin: Artur spuke nicht
Zeitungsartikel: Vom Seemann zum Märchen-Maler (1970)
Startseite: Artur Märchen